Interview mit Ingrid-Gabriela Hoven

23.07.2024

Die Weltgemeinschaft steht derzeit multiplen Krisen gegenüber. Die Zahl autoritär geführter und fragiler Staaten nimmt zu. Viele Industriestaaten sehen sich großen finanzpolitischen und innenpolitischen Schwierigkeiten gegenüber. Wie lassen sich die Länder des globalen Südens angesichts dieser Herausforderungen wirkungsvoll bei ihrer nachhaltigen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung unterstützen? Darüber sprachen wir mit Ingrid-Gabriela Hoven, Vorständin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH und Kuratoriumsmitglied der Aid by Trade Foundation.

Frau Hoven, die Vielzahl der Krisen in der Welt macht gerade den wirtschaftlich schwächeren Staaten des globalen Südens enorm zu schaffen. Dadurch entstehen neue Krisenherde; ein Teufelskreis droht. Wie sieht angesichts dieser schwierigen weltpolitischen Lage eine zukunftsfähige internationale Zusammenarbeit aus, die benachteiligten Staaten, etwa jenen südlich der Sahara, neue Perspektiven der Weiterentwicklung verschafft?
Internationale Zusammenarbeit ist gerade jetzt wichtig. Denn sie stabilisiert und kann Konflikten vorbeugen. Wir haben es mit multiplen Krisen zu tun, die sich gegenseitig verstärken – dem Klimawandel, den Folgen der Coronapandemie, Kriegen und Konflikten. Diese Multikrisen schwächen Demokratie und Teilhabe. Ihre Auswirkungen werfen Entwicklung im globalen Süden an vielen Stellen zurück, etwa bei Bildung und Gesundheit. Das fordert auch uns als GIZ. Wir begleiten Länder im globalen Süden in den notwendigen umfassenden Transformationsprozessen, die ganz unterschiedliche Bereiche umfassen, wie Energie, Landwirtschaft, Mobilität, Ernährung, den Umgang mit Ressourcen. Unser Kernanliegen ist es, Veränderungen hin zu einer umweltschonenden Wirtschaft und Gesellschaft gerecht zu gestalten. Ganz im Sinne einer Just Transition. Entscheidend dafür ist es, auch den Privatsektor einzubinden und die Chancen des digitalen Wandels zu nutzen.

Auch die Arbeit der GIZ verändert sich. 2015 unterschrieben alle Staaten der Vereinten Nationen die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Welche Bedeutung haben ihre 17 Nachhaltigkeitsziele für die Arbeit der GIZ?
Die Agenda leitet uns in unserer Arbeit. Sie ist ein wichtiger Gradmesser für die internationale Zusammenarbeit. Je mehr wir die Sustainable Development Goals (SDGs) erreichen, desto besser können wir der Gefahr von Krisen und Fragilität weltweit entgegenwirken. Die Agenda 2030 ist eine Agenda für Frieden und Sicherheit. Vor uns liegt aber noch ein weiter Weg. Den Vereinten Nationen zufolge sind nur etwa 15 % von rund 140 Unterzielen, für die Daten vorliegen, auf dem richtigen Weg. Um die SDGs zu erreichen, braucht es eine gemeinsame Anstrengung aller gesellschaftlichen Kräfte. Die Industrieländer haben eine klare Mitverantwortung, Entwicklung weltweit voranzutreiben und Staaten und Gesellschaften dauerhaft resilienter zu machen. Als Handlungsauftrag für die Zukunft zeichnet sich schon jetzt ab, dass wir die Ziele in der Umsetzung nicht isoliert betrachten dürfen, sondern noch viel stärker miteinander verschränken müssen.

Welche Rolle haben gesellschaftspolitische Akteure und Stiftungen wie die Aid by Trade Foundation bei der Umsetzung der Ziele und hinsichtlich der Arbeit der GIZ?
Stiftungen sind eine unabhängige und tragende Säule der Zivilgesellschaft. Als solche sind sie wichtige Treiber gesellschaftlichen Wandels und damit auch für das Erreichen der SDGs. Stiftungen – und das freut mich sehr – bringen sich immer stärker beim Erreichen der SDGs ein. Für uns als GIZ sind sie ganz natürliche Partner. Denn wir haben große Schnittmengen in den Themen, die wir bearbeiten, und wir verfolgen sehr ähnliche Ziele. Durch die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen der GIZ und Stiftungen können bestehende Vorhaben gemeinsam ausgebaut, gezielt weitere Themen in den Blick genommen und mehr Menschen erreicht werden. Als GIZ ergänzen wir das Know-how und die Stärken von Stiftungen, weil wir vor Ort in den Ländern und Regionen präsent sind.

Verliert das über Jahrzehnte die Entwicklungspolitik prägende Motto „Entwicklung durch Handel“ angesichts der aktuellen Veränderungen an Bedeutung?
Nein, der globale Handel ist und bleibt weiterhin relevant. Er kann einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und Armutsreduzierung leisten, wenn er nachhaltig und gerecht gestaltet ist, also die Bevölkerung davon profitiert und die Umwelt nicht geschädigt wird. Die Menschen müssen unter fairen Bedingungen arbeiten können und beispielsweise existenzsichernde Löhne erhalten. Außerdem kann Wertschöpfung noch stärker in beziehungsweise zwischen den Ländern des globalen Südens stattfinden. Transparente und faire Lieferketten spielen dabei eine entscheidende Rolle. Deshalb engagieren wir uns hier als GIZ mit unseren Partnern wie der Aid by Trade Foundation weltweit. Im Übrigen ergeben sich im Zuge der Digitalisierung auch ganz neue Möglichkeiten des grenzüberschreitenden Handels, wie beispielsweise bei digitalen Dienstleistungen.

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INGRID-GABRIELA HOVEN
Vorständin, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

„Transparente und faire Lieferketten spielen eine entscheidende Rolle.“

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